Monday, June 12, 2006

The Sidewinder (Lee Morgan)

„The Sidewinder“ ist ein Album von Trompeter Lee Morgan, das 1963 beim Jazzlabel „Blue Note Records“ entstand und Morgan’s größter Erfolg wurde.
Wenn man einen Blick auf die Karriere von Lee Morgan wirft kommt man fast nie an einem Album vom Trompeter vorbei, das im Jahre 1963 nach seiner Rückkehr aus einer Auszeit ab 1961 entstand: „The Sidewinder“.

Doch um den Wert dieser Platte beschreiben zu können ist vor allem ein Blick auf Morgan’s hervorgehende Karriere nötig.


Lee Morgan wird am 10. Juli 1938 in Philadelphia, USA geboren und gilt schon früh als Ausnahmetalent an der Trompete, da er ein unheimlich virtuoser und mutiger Musiker ist. Viel dazu trägt auch Morgan’s musikalisches Umfeld bei, Philadelphia stellt sich in den Vierziger Jahren als unwahrscheinlich kreatives Pflaster der Jazzmusik dar mit vielen guten Musikern wie den Saxophonisten John Coltrane, Benny Golson und Jimmy Heath, sowie dessen Brüdern Percy Heath am Bass und Albert „Tootie“ Heath am Schlagzeug.

Er besucht in diesen Jahren die „Mastbaum High School, eine Schule, die auch noch viele andere prominente Musiker hervorbringen wird. Schon zu dieser Zeit, wird Morgan nach dem tragischen Unfall des Trompeters Clifford Brown, der im Jahre 1955 im Alter von nur 26 Jahren tragisch bei einem Unfall verunglückt, als dessen Nachfolger auserkoren.

Das erste Mal tritt Morgan jedoch erst als Mitglied von Dizzy Gillespie’s Big Band in den Blickfang der Jazzwelt. Bei der Gelegenheit werden auch Alfred Lion und Francis Wolff, die beiden deutschen Gründer des erfolgreichen New Yorker Jazzlabels „Blue Note“ auf Morgan aufmerksam und nehmen ihn 1956 sofort unter Vertrag. So kommt es, dass er schon mit einem jungen Alter von 18 Jahren als zu der Zeit noch ziemlich unbekannter Trompeter erfolgreich in die Jazzszene einsteigt.

Ein Überaus erfolgreiches Auftreten hat Lee Morgan dann im Jahre 1957 bei der Aufnahme von „Blue Train“ von John Coltrane. Obwohl Morgan hier nur als Sideman der von Coltrane geführten Gruppe eine Nebenrolle annimmt ist vor allem seinen Solos zu verdanken, dass diese Platte Coltrane’s erfolgreichste zu dieser Zeit werden sollte und dieser Erfolg erst 8 Jahre später durch „A Love Supreme“ überboten werden sollte. Es zeigt sich, dass Morgan auch sehr gut in der Lage ist, sich der Musik anderer Musiker anzuschließen und dass während der Aufnahmen zum Album ist zu erkennen, dass Coltrane und Morgan sich auch deshalb so gut verstehen, weil sie beide ihren jungen Jahre in Philadelphia zusammen verbracht haben, auch wenn Coltrane ganze 12 Jahre älter als Morgan ist und daher eher eine Rolle als ein Lehrer für ihn einnimmt. Er ist jemand, der überall etwas aufsaugt und dies zu seinem eigenen Stil verarbeitet.

Seine bis dato erfolgreichste Zeit sollte jedoch erst die Zeit bei Art Blakey und seinen „Jazz Messengers“ werden. Die Besetzung der Band zu dieser Zeit zählt noch heute zu der besten im fast 30-jährigen Bestehen der Gruppe und zusammen mit Benny Golson, Bobby Timmons und Jymie Merritt ist diese Truppe auch wirklich eine starke. Morgan entwickelt sich hier mehr und mehr zum Vertreter des Hard Bop an der Trompete und sein Solo beim Song „Moanin’“ gilt als der bekannteste Ohrwurm von Blakey’s Messengers.

Doch in dieser Zeit rutscht auch Lee Morgan – wie viele andere (vor allem schwarze) Musiker – in eine Drogenschiene ab, der er sein restliches Leben wohl nie mehr ganz entkommen sollte. Im Jahre 1961 zieht er sich dann für fast zwei Jahre gänzlich aus der Jazzszene New York’s zurück und geht zurück in seine Heimatstadt Philadelphia, in der er einen Entzug von den Drogen versucht. Dieser gelingt zwar nicht, doch im Jahre 1963 kommt Morgan dann mit umso mehr Frische und neuer Energie zurück, um daraufhin mit „The Sidewinder“, seinem größten Erfolg wieder durchzustarten.


Am 21. Dezember 1963 war es dann soweit. Das Album wurde in Englewood Cliffs, New Jersey im Tonstudio des Toningenieur Rudy Van Gelder aufgenommen, der auch eine Vielzahl anderer Blue Note Alben aufnahm. Vor allem dem Sound von Rudy Van Gelder, einem Genie der Tontechnik ist es zu verdanken, dass die Platte eine so gute Klangqualität besitzt, auch über 40 Jahre nach ihrem Entstehen.


Hier die Musiker, die „The Sidewinder“ entstehen ließen:

Lee Morgan – Trumpet
Joe Henderson – Tenor Saxophon
Barry Harris – Piano
Bob Cranshaw – Bass
Billy Higgins - Drums


Morgan schafft es zu dieser Session eine echte Meistergruppe zusammen zu bekommen. Es ist eines der Aspekte, warum dieses Album auch erfolgreicher als alles vorhergehende wurde ist auch der Fakt, dass Morgan mit den Musikern des Albums - Joe Henderson, Barry Harris, Bob Cranshaw und Billy Higgins – schon vorher einige Male zusammen spielen konnte und damit die Atmosphäre beim Aufnahmetermin großartig war, was man auch klar hören kann.

Dabei überzeugen jeweils die Rhythmusgruppe um Cranshaw und Higgins herum sowie der Bläsersatz um Henderson als auch Morgan selbst. Doch nur zusammen fügen sie sich zum ganzen und ergeben einen sehr funkigen Hard Bop, der auch dem zeitgenössigen Trend entsprach.




Hier die Zusammenfassung der Titel:


„The Sidewinder“

Mit dem gleichnamigen Titelstück beginnt die Platte auch schon mit einem funkigen Rhythmus. Es ist ein ausgedehntes Bluesschema über 24 Takte, das jedoch auch stark durch den Latin beeinflusst ist. Doch erst durch das kräftig geblasene Thema von Morgan und Henderson gewinnt das Stück an Kraft und Energie. Im 17 bzw. 18 Takt jedes Chorus erfolgt dann jeweils ein unerwarteter Wechsel, der durch einen Moll-Akkord verursacht wird. Dieser einzige Akkord gibt dem ganzen Stück dann wieder einen völlig neuen klanglichen Raum, was das Stück auf so besonders macht.

Nach dem Solo von Morgan, der einen getreu des Themas ein echt funkiges Solo bläst folgen daraufhin Henderson und Harris als Solisten. Zum Ende des Stücks geneigt greift dann Cranshaw noch das Thema auf und spielt sein Solo, dass daraufhin im mit dem Stück endenden Thema und einem kleinen Abspann den Schluss des Stückes markiert. Durch Billy Higgins Präsenz hinterm Schlagzeug wird ein einzigartiger Klangteppich für jeden einzelnen Solisten geschaffen und auch sonst überzeugt Higgins auf voller Linie.

Der Titel dieser Stücke und damit auch des ganzen Albums kann nur Morgan selbst erklären. Die Idee dazu kam ihm, dass ihn das Thema des Titels an eine Art Zuhälter – zu Englisch eben „Sidewinder“ – erinnerte, einen bösartigen Typen, der durch seine draufgängerische Art charakterisiert ist.


„Totem Pole“

Auf „The Sidewinder“ folgt dann darauf „Totem Pole“ als zweites Stück auf der Platte. Durch das Eb-Thema wird eine besondere Spannung im Lied erzeugt. Während sich über die ersten 16 Takte, dem A-Teil, hinweg sich die pure Energie der Band anzustauen scheint folgt dann im B-Teil mit 8 Takten das Entladen. Am Ende folgen wieder 8 Takte des A-Teils.

Mit diesem Motiv ist die ganze Komposition, auch über die Solos hinweg, gestaltet und die Umsetzung der Idee von Morgan klappt auch prima. Während jeder einzelne Solist zum einen zum Motiv beiträgt schafft es Harris am Klavier mit seinen Akkorden die nötige musikalische Spannung zu erzeugen, die hierfür auch nötig ist, bis er selbst das Stück in seinem eigenen Solo aufgreift. Auch das gelingt ihm hervorragend in dem er seinen, stark durch den Pianisten Bud Powell geprägten, Stil auf das Stück überträgt.

Die Idee zu diesem Stück bekam Morgan bei einem Konzertauftritt von Dizzy Gillespie, der an jenem Abend wohl „The Mooche“ spielte. Davon war Lee Morgan so angetan, dass er sich gleich danach zu Hause hinsetzte um „Totem Pole“ zu schreiben. Die Verwandtschaft beider Lieder lässt sich speziell noch in der Form erkennen.


„Gary’s Notebook“

“Gary’s Notebook” ist ein Stück, das Morgan einem gleichnamigen Freund namens Gary widmete, der nach Morgan’s Beschreibungen ein sehr ruhiger und intellektueller Mann gewesen sein soll. Auch das lässt sich bei genauem Hinhören raushören, wenn man sich vorstellt, mit welchem Grund Morgan dieses Stück komponierte.

Die Form des Stückes entspricht einem schnellen Walzer mit einem Moll-Motiv, das nach 16 Takten Intro in das 24-Taktige Solo und daraufhin dann in die Solos übergeht. Mit einer Serie von gegenseitigen Hochspielungen von Schlagzeug und Bass werden hier die Solos auf eine besondere Weise begleitet. Auch Harris schafft es am Klavier wieder eine tolle Stimmung, sowohl als Begleiter als auch Solist, zu erzeugen.


„Boy, What A Night“

Mit dem Stück “Boy, What A Night” folgt daraufhin wieder eine Komposition, die an den Blues gebunden ist, diesmal jedoch in einer anderen Umsetzung als bei „The Sidewinder“. Obwohl es ebenfalls ein funkiges Stück ist, ist es doch vor allem durch den 12/8 Takt charakterisiert, einer ziemlich ungewöhnlichen Taktart, die an Miles Davis’ Stück „All Blues“ erinnert. Durch rhythmische Veränderung, so zum Beispiel mal einem Sprung in die Double-Time oder einer Umänderung in einen 3/4 Takt wird ebenfalls noch mehr aus dem Thema herausgeholt.

Doch vor allem durch die Solisten erhält das Stück mal wieder sein Markenzeichen. Zu erst Henderson und dann auch Morgan fegen mit gewaltiger Energie durch das Stück, dass einem nur das Staunen bleibt, begleitet von einer großartigen Rhythmusgruppe.


“Hocus-Pocus”


Mit “Hocus-Pocus” endet dann auch die Platte mit einem sehr schönen Stück, dass dem typischen Hard Bop gewidmet ist. Obwohl die Akkordwechsel die gleichen sind wie beim Jazzstandart „Mean To Me“ ist es trotzdem eine großartige Interpretation durch Morgan.

Es ist eigentlich ein gar nicht schweres Stück, ein sehr simpeler Aufbau, eine AABA Form im Thema sowie auch im Solo, doch trotzdem ist das Lied doch wieder ein gelungener Abschluss für eine solch großartige Platte, wie sie Morgan später nie wieder machen sollte.

Henderson startet diesmal wieder als erstes in sein Solo und darauf folgen ihm Morgan, Harris und Higgins in einem Solo bzw. zum Schluss zu den Breaks am Schlagzeug (4/4). Hiermit endet dann auch schließlich das Stück mit einer Wiederholung des Themas.




Als Morgan zum ersten Mal für das Label „Blue Note Records“ im Jahre 1956 als einer der begabtesten, jungen Trompeter der New Yorker Jazzszene Platten aufnahm überließ er das Schreiben von Stücken und Kompositionen meistens anderen Musikern, um ihn herum, die in den meisten Fällen schon sehr viel routinierter als Morgan waren. Doch schon Anfang seiner Zeit bei Art Blakey begann er dann hin und wieder einzelne Kompositionen für Alben zu liefern, doch erst „The Sidewinder“ war nun das erste Album, auf dem Morgan ein Repertoire von fünf eigen geschriebenen Songs einspielte und damit etwas Neues, einen neuen Aufschwung in seiner Karriere auslöste – mit volle Erfolg, wie man später sehen konnte.

Das Album hatte jedoch nicht nur für Morgan eine große Bedeutung sondern auch für das Label „Blue Note“, das das Album herausbrachte. „The Sidewinder“ wurde zusammen mit John Coltrane’s Album „Blue Train“ die erfolgreichste Platte für Alfred Lion und sein Label und brachte auch dem Label selbst einen enormen kommerziellen Aufschwung.

„The Sidewinder“ avancierte fortan zu Morgan’s erfolgreichstem Album, und obwohl er den Erfolg dieser Platte mit darauf folgenden Alben - wie zum Beispiel „Cornbread“ oder „The Rumproller“ – oder den insgesamt 25 Einspielungen als Leader in seiner Karriere nie wieder übertreffen konnte gab es seiner Karriere einen großen Kick und im großen und ganzen profitierte Morgan davon sehr wegen seiner gewonnenen Popularität. Es gelang ihm mit seinem zusehends abstraktren und vor allem modal orientiertem „Avantgarde-Hard Bop“ eine verhältnismäßig größere Zuhörerschaft anzusprechen.

„The Sidewinder blieb auch außermusikalisch bis zu Morgan’s Tod im Jahr 1971 ein Erfolg. So nutze im Jahre 1965 der amerikanische Autohersteller Chrysler in einem Fernseh-Werbespot das Titelstück des Albums und damit erhielt Morgan noch einmal einen neuen Schub an Berühmtheit. Auch musikalisch gesehen blieb „The Sidewinder“ ein überzeugendes Musikdokument und wird auch die nächsten vierzig Jahre noch genauso erfolgreich überdauern, wie die Platte es bisher getan hat.

Mehr Informationen zu Lee Morgan: Hier

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